Der Traum von einer Stadt des Miteinanders

Bildrechte: Stephanie Hochschläger/pixelio.de

ein Blogartikel von Michael Vogler (Im Original erschienen auf www.kultur-design.at


Ohne Miteinander geht es nicht. Nur gemeinsam kommen wir voran. Es begann mit dem Traum des Bürgermeisters einer Stadt, in der niemand seine eigene oder die Würde eines anderen Menschen verletzt. Nun ist seine Stadt auf der Reise in ein Land, das so ganz anders ist, als uns die “große Politik” glauben machen will. Eine bemerkenswerte Entwicklung trat ein.

Peter Eisenschenk ist Bürgermeister von Tulln an der Donau, einer Stadt in der Nähe von Wien. „Aufgabe der Politik ist es, das Miteinander zu fördern“, sagt er. Und er meint das nicht nur. Er schritt auch zur Tat und rief zu Beginn 2018 vor erstaunten Bürgern die Stadt des Miteinanders aus. Tulln solle sich zu einem Zentrum wechselseitig nachbarschaftlicher Unterstützung entwickeln.

Bald zeigte sich, dass dieser Gedanke auf fruchtbaren Boden fiel. Allein die Vorstellung, gemeinsam besser leben zu können, gab vielen Menschen Hoffnung auf mehr Zugehörigkeit, gemeinsam erlebte Freude und Lebenssinn. Viele wünschen sich das in Zeiten, wo Isolation und Einsamkeit zunehmen. Und es werden immer mehr. Es war notwendig, dass einer das aussprach.

Alleine ist es schwer, dem Gefühl der Irritation zu entkommen, wenn allenthalben Opportunismus, zunehmende Kontrollen, Ohnmachtsgefühle und Orientierungslosigkeit zu erkennen sind.

Wo Verunsicherungen verschiedenster Art existieren, liegt das Glück unmittelbar dort, wo doch noch etwas gestaltet werden kann. Nur im eigenen Umfeld kann dann Sinn erfahren werden. In Gemeinsamkeit.

Spontan entstanden erste Aktivitäten.

Zu Nachbarschaftsfesten in den urbanen Siedlungen gesellten sich nun Aktivitäten, wie eine Plattform zur gegenseitigen Unterstützung, Hobbygärtner schlossen sich zusammen, Yoga und Chi-Gong wurden ebenso angeboten, wie gemeinsame Spaziergänge. Es gibt eine Initiative der Stadtzeichner, einen Flashmob, sogar eine Buche begann auf einem eigenen Blog aus ihrer Sicht über das Leben in der Stadt zu schreiben.

Quer über alle Aktivitäten lernten Bürger einander kennen. Sie kamen einander näher, begannen sich auszutauschen. Neues Vertrauen entstand. Nähe entwickelte sich, wo zuvor keine gewesen war.

Es geht nur gemeinsam

Eine bessere Bestätigung der Thesen des Gehirnforschers Gerald Hüther kann es nicht geben. Dieser hatte seine Einsichten über das Gehirn auf Kommunen übertragen. Wir können nur so arbeiten, wie unser Gehirn es erlaubt, meint er. Deshalb gelten die selben Grundregeln, nach denen das Gehirn arbeitet, auch in Gemeinschaften. Denn diese bestehen aus vielen einzelnen Gehirnen.

Eine Gehirnzelle kann allein nur wenig. Aber gemeinsam sind sie zu den größten Leistungen fähig.

Der Kitt, welcher die Kooperation zusammenhält, besteht in menschlichen Gemeinschaften aus der Freude am gemeinsamen Entdecken und Gestalten, am voneinander Lernen und gegenseitig Ermutigen, am Sich-Einbringen und Füreinander-da-Sein. All das also, was uns Menschen so wichtig ist wie Brot. Jene geistigen Grundnahrungsmittel, die etwas in Vergessenheit geraten sind.

All das findet sich in einer Stadt des Miteinanders.

Das Verbindende im Zentrum der Aufmerksamkeit

Wer sich darauf eingelassen hatte mitzugestalten, der bemerkte bald, dass er ein anderes Lebensgefühl entwickelte. Ein Gefühl, welches sich so ganz anders anfühlt, als jenes, das uns die “große Politik” einredet. Während es dort zur Mode geworden ist, Menschen in Identitäten einzuschachteln und gegeneinander auszuspielen, wird in Tulln an der Donau das Gemeinsame ins Zentrum der Aufmerksamkeit gestellt.

Hier zählt das, was uns verbindet, nicht das, was uns trennt.

Wir müssen endlich aufhören uns die Welt schlecht zu reden“, forderte eine Teilnehmerin eines Workshops. Dieses ewige Schlecht-Reden beraubt uns jeder Perspektive und Hoffnung. „Tun wir doch etwas, reden wir positiv!“

Wesentlich: eine positive Sprache

Eine Stadt des Miteinanders ist ganz wesentlich an der positiven Sprache erkennbar. Das klingt einfacher, als es ist. Werden wir doch seit vielen Jahren von einer Sprache umgeben, die nicht nur auf Angst, sondern auch auf Neid und Missgunst setzt. Es ist diese Sprache, die jenes unangenehme Gefühl ständigen Zu-kurz-gekommen-Seins erzeugt.

Aus einer positiven Sprache jedoch – einer also, die zwar die Augen nicht verschließt, aber sich dennoch auf  den verbliebenen Freiraum konzentriert – entwickelt sich das Gefühl, die Um- und Mitwelt gestalten zu können. Selbst etwas dazu beitragen zu können.

Wir Menschen sind unserem Naturell nach Gestalter, Entdecker, Suchende und Erfinder. Das geht aber nur, wenn man sich nicht selbst den Raum der eigenen Möglichkeiten klein redet.

Der Fokus positiven Sprechens liegt auf bestehenden Handlungsmöglichkeiten. Denn nur wer in Möglichkeiten denkt, kann auch Lösungen finden.
Wer hingegen alles als Bedrohung empfindet, tendiert zur Verteidigung echter oder eingebildeter Besitzstände.

Wo die Aufmerksamkeit ist, dort befindet sich die Kraft.

Jeder von uns hat die Entscheidung, wo er sich geistig einrichten will: konstruktiv und kreativ oder defensiv bewahrend. Die Entscheidung hat erstaunliche Auswirkungen auf das gesamte persönliche Umfeld und auch auf einen selbst.

Wohin soll sich unsere Aufmerksamkeit wenden?

Interessant ist der Vergleich zwischen Ehepaaren: solchen die lange zusammenbleiben und solchen, die sich trennen. Der Psychologe John Gottman verglich die beiden Gruppen:

Werden Scheidungskandidaten nach gemeinsamen Erinnerungen gefragt, so fand er heraus, können sie von genauso vielen positiven wie negativen Erfahrungen berichten. Das Verhältnis ist 1:1.

Ehepaare aus dauerhaften und glücklichen Beziehungen erinnern sich hingegen an fünf mal so viele positive als an ungünstige Erfahrungen. Der Grund für diesen Unterschied ist, dass sie ihre Aufmerksamkeit von vorne herein viel stärker auf Erlebnisse der Gemeinsamkeit legen.

Räume statt Zäune!

Es hilft also, sich auf Handlungsmöglichkeiten und konstruktive Aspekte zu konzentrieren. Das Leben wird dadurch reicher, bunter und erfüllter. Und es macht Mut, Räume zu schaffen, anstatt Zäune zu bauen. Das gilt in einer Beziehung ebenso, wie in einer Stadt.

Nichts fördert das Miteinander mehr, als positiv zu sprechen: über einander, über die Stadt und über sich selbst. Das ist nicht immer einfach. Aber wo es gelingt, fördert es die Würde des solcherart Beschriebenen – ebenso wie jene des Beschreibenden.

Gerade dieser letzte Punkt verdient besondere Beachtung.