2. Reise durch die spirituellen RĂ€ume

Wenn Religionen zusammen arbeiten

Im Zentrum jeder Religion steht das Miteinander. Es war beeindruckend, wie die „Spirituellen BrĂŒckenbauer“ diese Überzeugung bei ihrer diesjĂ€hrigen „Reise durch die Spirituellen RĂ€ume“ zum Ausdruck brachten. Zu keinem anderen Zeitpunkt ist es möglich, die RĂ€ume verschiedenster Religionen in so großer Dichte zu erleben. Einen nach dem anderen.

Das Motto „Bilder und Darstellungen“ zog sich wie ein roter Faden durch die „Lange Nacht der Kirchen“ in Tulln. Neben den zwei katholischen Kirchen, wurden die evangelische und die orthodoxe Kirche, sowie die Moschee besucht.

Etwa sechzig Teilnehmer hatten sich vor dem Tullner Rathaus versammelt, ehe die Reise begann und der „Tulli“ bestiegen wurde. Hido Osmanivic, der LokfĂŒhrer, brachte uns zuerst in die Stadtpfarrkirche St. Stephan. In dieser Kirche, mit Innenleben aus der Barockzeit, erklĂ€rte Stefan Haslhofer das Altarbild mit der Steinigung des Heiligen Stephanus. Dieser gilt, der Legende nach, als erster MĂ€rtyrer der Christenheit. Dem Maler – so erfuhren wir – ist bei der Darstellung von einem der beiden Steiniger ein Fehler unterlaufen. Denn so dazustehen, wie der Mann in der roten Hose, ist physiologisch unmöglich.

Interessant war auch die ErlĂ€uterung der fĂŒnf Sterne im Heiligenschein von St. Nepomuk. Diese fĂŒnf Sterne stehen fĂŒr das lateinische Wort „tacui“, ich habe geschwiegen. Er wurde hingerichtet, weil er das Beichtgeheimnis nicht brechen wollte.

„KirchengebĂ€ude sind RĂ€ume des Lebens. Sie machen nur Sinn, wenn Leben darin stattfindet“, gab anschließend Pfarrerin Ulrike Nindler Einblick in die evangelische SpiritualitĂ€t. Der weitgehende Verzicht auf Bilder, so erlĂ€uterte sie, gehe darauf zurĂŒck, dass Jesus gesagt habe, ‘ich bin der Weg’ – nie aber geĂ€ußert habe: „Ich bin ein Denkmal!“

Ein Weg weise immer in die Zukunft. Bilder allerdings könnten auch missverstanden werden als rĂŒckwĂ€rts gewandte Metaphern. Dann wĂŒrden sie Vergangenheit vor das Leben stellen. Wenn aber Vergangenheit wichtiger werde als das tĂ€glich zu lebende Leben, wĂŒrde Erstarrung das Ergebnis sein.

Auch in der Moschee finden sich keine bildlichen Darstellungen. Wohl aber eine ganze Reihe von Symbolen. Auch diese wollen gelesen werden und stellen fĂŒr den Kundigen eine Schrift dar. Senad Kusur, der Tullner Imam, legte dar, dass die Bilderarmut des Islam darauf zurĂŒckzufĂŒhren sei, dass die Begriffe fĂŒr „Schöpfung“ und „Sprache“ im Arabischen sprachlich sehr Ă€hnlich seien. So erklĂ€rt sich die besondere Bedeutung der Kalligraphie in der islamischen Darstellung.

FĂŒr viele Teilnehmer ergab sich zum ersten Mal die Möglichkeit direkt mit einem kompetenten Imam zu sprechen. So wurden im Anschluss viele Fragen an den Imam gestellt. Groß war das Erstaunen darĂŒber, wie weltoffen, positiv und kooperativ sich das Leben gerade in unserer Tullner Moschee zeigt.

Ehe der „Tulli“ seine Reise wieder aufnahm gab es noch Gelegenheit, die dortige Ausstellung mit Bildern von Ernst Degasperi zu besichtigen.

Die nĂ€chste Station war die moderne katholische Stadtpfarrkirche St. Severin. Nach einer launigen BegrĂŒĂŸung durch Pfarrer Reginald Ejikeme, erzĂ€hlten Wolfgang Apfelthaler und Heidi Hammer zunĂ€chst von der Grundsteinlegung der Pfarre vor fĂŒnf Jahrzehnten. Danach berichteten sie vom Pfarr-Patron, dem Hl. Severin.

Dieser war eine beeindruckende historische Persönlichkeit. Er kam im Jahr 453 in unsere Gegend und war ein einfacher Mönch, ohne kirchliches oder politisches Amt. Als die Römer ihr Heer vom Donaulimes zurĂŒckgezogen hatten, blieb die Bevölkerung den vom Norden nachdrĂ€ngenden Germanen schutzlos ausgeliefert. Da schaffte es dieser Mönch, als einzelner Mensch, den Frieden noch lange zu erhalten. Es gelang ihm, gute Beziehungen zwischen der von den Römern zurĂŒckgelassenen Bevölkerung und den Germanen herzustellen. Mit Fug und Recht kann man sagen, dass dieser Mönch Severin ein Großmeister des Miteinanders gewesen ist – und somit ein Vorbild fĂŒr die Stadt des Miteinanders.

Die letzte Station war die orthodoxe Kirche in Tulln. Der Pfarrer, Veljko Savic, fĂŒhrte den Unterschied – nach orthodoxem VerstĂ€ndnis – zwischen „Kirche“ und „Tempel“ aus. Ein GebĂ€ude, das zur Andacht und zum Gebet bestimmt sei, sei ein Tempel. Zur Kirche werde es nur zu einer Zeit, wĂ€hrend der Menschen darin beten. So sind auch auch GebĂ€ude Bilder mit hoher symbolischer Bedeutung.

Der reiche Bilderschmuck der orthodoxen Kirche fĂŒhrte ihn in seinen AusfĂŒhrungen zur ErklĂ€rung der Bedeutung von Ikonen. Bei ihnen gehe es nicht um das physische Bildnis, sondern um dessen spirituelle Bedeutung. Nur diese sei in der Orthodoxie wichtig, mitsamt ihrer reichhaltigen Symbolik. Der Ikonen-“Schreiber“ habe ein anderes SelbstverstĂ€ndnis als der moderne KĂŒnstler. Ihm gehe es um die Vermittlung des Inhaltes, wĂ€hrend es jenem um seine persönliche Interpretation gehe.

Dieser Vortrag war so interessant fĂŒr die Teilnehmer, dass die Gruppe, trotz der spĂ€ten Stunde, kaum zur RĂŒckkehr zum Rathaus im „Tulli“ zu bewegen war.

FĂŒr die Gruppe der „Spirituellen BrĂŒckenbauer“, die das gesamte Programm dieser „Reise“ und die Veranstaltungsreihe „Miteinander mit allen Sinnen“ organisiert hat, waren Interesse und die Begeisterung der Mitreisenden eine große BestĂ€tigung fĂŒr den eingeschlagenen Weg.

(von Michael Vogler)